Cookie-Hinweis: Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind erforderlich, während andere uns helfen unser Onlineangebot zu verbessern. Sie können alle Cookies über den Button “Alle akzeptieren” zustimmen, oder Ihre eigene Auswahl vornehmen und diese mit dem Button “Auswahl akzeptieren” speichern.
Liebe Leserinnen und Leser
Mit unserem Juni-Newsletter 2023 informieren wir Sie über die aktuelle Rechtsprechung in Arzthaftungsangelegenheiten. Das JORZIG – Team hat in diesem Zusammenhang einige Urteile zusammengestellt, die auch für Sie interessant sein könnten:
Kein Schadenersatz bei Amnioninfektionssyndrom und intrauterinem Infarkt
Das Landgerichts Flensburg hat in seinem Urteil vom 16.12.2022, (3 O 313/20) zu Diagnostik und Handlungserfordernissen unter der Geburt bei Amnioninfektionssyndrom und intrauterinem Infarkt ausgeführt.
Kein Schmerzensgeld für Corona-Impfung
Das Landgericht Ravensburg hat am 16.03.2023 (Az.: 3 O 1/23) entschieden, dass allein eine Corona-Impfung ohne weitere Folgen kein Schmerzensgeld rechtfertigt.
Darf das Gericht ohne fachmedizinisches Gutachten entscheiden?
Das OLG Dresden hat am 08.06.2021 (4 U 2486/20) nochmals bestätigt, dass in Arzthaftungsangelegenheiten in der Regel ein Sachverständigengutachten einzuholen ist.
Schockschaden
Mit dem Urteil vom 06.12.2022 (VI ZR 168/21) nimmt der BGH eine Änderung seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung zu den sogenannten Schockschäden vor.
Keine weitere Bedenkzeit nach der Entscheidung zur Behandlung
Der BGH stellt in seiner Entscheidung vom 20.12.2022 (VI ZR 375/21) ausdrücklich klar, dass es nach ordnungsgemäßer und insbesondere rechtzeitiger Aufklärung dann Sache des Patienten ist, zu welchem Zeitpunkt er seine Entscheidung hinsichtlich der Erteilung oder Versagung der Einwilligung in den Eingriff trifft.
Aufklärungspflicht bei Covid-19 Impfungen mit einem mRNA –Impfstoff
Das Landgericht Heilbronn hat mit Urteil vom 14.02.2023 (Wo 1 O 65/22) entschieden, dass der impfende Arzt seiner Aufklärungspflicht nachkommt, wenn er nach vorheriger schriftlicher Aufklärung mittels Merkblatt Nachfragen ermöglicht.
Nicht jede abweichende Ansicht eines MDK-Gutachters rechtfertigt die Einholung eines Obergutachtens.
Das OLG Brandenburg hat mit Beschluss vom 22.09.2022 (12 U 63/22) erklärt, dass nicht jede abweichende Ansicht eines MDK-Gutachters die Einholung eines Obergutachtens rechtfertigt.
Vielen Dank für Ihr Interesse.
Ihr Team von JORZIG Rechtsanwälte
Zu Diagnostik und Handlungserfordernissen unter der Geburt bei Amnioninfektionssyndrom und intrauterinem Infarkt
Urteil des Landgerichts Flensburg vom 16.12.2022- Az 3 O 313/20
Der Sachverhalt:
Die Mutter des Klägers war zunächst ca. 2,5 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin bei der Beklagten aufgenommen worden. Das CTG hatte unregelmäßige Wehen gezeigt, die fetale Herzkurve war unauffällig gewesen, ebenso die durchgeführte Sonographie. Das Labor hatte unter anderem eine leichte Leukozytose und einen erhöhten CRP-Wert gezeigt. Die Mutter war zunächst zur Abklärung einer Infektion aufgenommen worden, war jedoch am Folgetag bei weiterhin unauffälligem CTG wieder entlassen worden.
Als 13 Tage später der Sprung der Fruchtblase erfolgte, hatte die telefonisch informierte Hebamme den Hinweis gegeben, dass der Transport zum Kreißsaal der Beklagten nicht liegend erfolgen müsse. Nach Ankunft bei der Beklagten wurden diverse Eingangsuntersuchungen durchgeführt, Laborwerte abgenommen und ein CTG geführt. Einzelheiten des weiteren Ablaufs sind streitig. Bei der Mutter des Klägers wurde eine Periduralanästhesie (PDA) angelegt mit einer Dosierung des Lokalanästhetikums Ropivacain von 8 mg. Nach im Verlauf ansteigender Körpertemperatur der Mutter und Auswertung ihrer Blutwerte traf der Oberarzt der Beklagten schließlich wegen des eingeengten CTG und eines Amnioninfektionssyndroms die Entscheidung für eine umgehende Kaiserschnittentbindung.
Wenig später wurde der Kläger aus Schädellage entbunden bei Nabelschnurumschlingung um den Hals. Er wurde sodann wegen Fieber, Anpassungsstörungen und Apnoen unter dem Verdacht eines Amnioninfektionssyndroms in eine Kinderklinik verlegt. Dort wurde schließlich im drei Tage später gefertigten MRT ein Hirninfarkt diagnostiziert.
Der Kläger bemängelte das Geburtsmanagement der Beklagten unter mehreren Gesichtspunkten. Dass seiner Mutter auf dem Weg zum Kreißsaal der Beklagten kein Liegendtransport angeboten und empfohlen worden war, sei als behandlungsfehlerhaft anzusehen. Ebenso, dass im Kreißsaal keine Liege zur Verfügung gestanden habe
Des Weiteren sei bei der PDA die Dosierung von 8 mg Ropivacain zu hoch gewesen. Zu bemängeln sei ferner, dass die diensthabende Hebamme mehrere Schwangere gleichzeitig zu betreuen hatte.
Sodann sei die Befunderhebung durch CTG nicht in der erforderlichen Weise durchgeführt worden, teils sei über 30 Minuten hinweg gar keine Aufzeichnung erfolgt.
Auch Warnhinweise auf das Amnioninfektionssyndrom (AIS) seien infolge mangelhafter Befunderhebung nicht bzw. nur zu spät erkannt worden.
Ferner sei nicht adäquat auf die kindliche Herzkurve, die Laborwerte (Leukozyten und CRP) und die Körpertemperatur der Mutter reagiert worden. Der Entschluss zur Entbindung per Kaiserschnitt sei zu spät gestellt worden angesichts des relativen Geburtsstillstands, der einsetzenden fetalen Tachykardie sowie des Anstiegs von Körpertemperatur und Infektparametern bei Verdacht auf ein beginnendes AIS. Anzeichen, die auf einen Infarkt des Klägers hingewiesen hätten, seien verkannt worden.
Der Kläger führte die mit dem Infarkt zusammenhängenden Beschwerden auf das fehlerhafte Geburtsmanagement zurück, darunter Atembeschwerden mit dauerhaften Einschränkungen und die Erforderlichkeit von beständigen Maßnahmen zur Schlaganfallprophylaxe. Es bestehe ein gesteigertes Thromboserisiko. Die Fehler der Beklagten würden ein Schmerzensgeld von mindestens 150.000 € rechtfertigen.
Die Entscheidung des LG Flensburg:
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Ein Liegendtransport zum Kreißsaal sei auch ausweislich der einschlägigen Leitlinien nicht angezeigt gewesen. In der Vergangenheit sei eine solche Maßnahme nach Blasensprung bisweilen empfohlen worden mit Blick auf eine theoretisch mögliche, in der Praxis jedoch äußerst seltene Komplikation in Form eines Nabelschnurvorfalls. Eine solche Verlagerung der Nabelschnur am führenden Teil des Kindes vorbei und in den Geburtskanal hinein könne einen geburtsmedizinischen Notfall darstellen, wenn dabei eine Kompression der Nabelschnur erfolgt. Wenn, wie vorliegend, der Blasensprung einer Erstgebärenden in der Nähe des errechneten Geburtstermins erfolge, der Muttermund ohne Wehen noch geschlossen oder jedenfalls nur leicht geöffnet sei und der führende Teil des Kindes den Ausgang der Gebärmutter am Muttermund verschließe, gebe es nach Auskunft des Sachverständigen keinen Grund, einen Liegendtransport zu empfehlen. Vorliegend sei jedoch auch kein Nabelschnurvorfall erfolgt. Die stattgehabte Nabelschnurumschlingung sei damit nicht zu verwechseln und habe überdies auch nicht zu einer Beeinträchtigung der Sauerstoffversorgung des Klägers geführt.
Sodann sei die Dosierung der über die PDA erfolgten Medikation nicht zu hoch gewesen. Der Sachverständige sah sie in Übereinstimmung mit dem Standard und sogar im unteren Bereich der zulässigen Bandbreite.
Zum Umstand, dass die Hebamme mehrere Schwangere gleichzeitig zu betreuen hatte, verwies das Gericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen auf die aktuelle S3-Leitlinie „Vaginale Geburt am Termin“ von 2020. Zwar ergäben sich erste Hinweise auf eine interventionsarme Geburt bei einer 1:1-Betreuung. Dessen ungeachtet existiere weder zum vorliegend relevanten Jahr 2016 noch gegenwärtig ein Standard zu einem verbindlichen Hebammen- und Arztschlüssel bei der Geburtshilfe. Die Betreuung von mehreren Schwangeren sei üblich und zulässig.
Die Befunderhebung durch CTG war ebenfalls nicht zu beanstanden, der Sachverständige hatte in Dauer und Häufigkeit der Durchführung dieser Überwachungsmaßnahme keine unüblichen Lücken feststellen können.
Auch die Maßnahmen zur Erkennung und Diagnose des AIS waren nach Auffassung des Gerichts nicht zu beanstanden. Die Entwicklung könne festgestellt werden anhand Fiebers der Mutter sowie anhand einer Erhöhung des Pulses von Mutter und Kind. Die vorliegend durchgeführten Messungen der Körpertemperatur hätten keinen Anlass zu einer entsprechenden Besorgnis gegeben. Insoweit bei der nächtlichen Aufnahme in den Kreißsaal nicht sofort der CRP-Wert bestimmt worden sei, stelle dies keinen Verstoß gegen den Standard dar. Der Blasensprung sei hier erst relativ kurz zuvor erfolgt gewesen, sonstige Anzeichen für eine Infektion hätten sich nicht darstellt.
Insoweit am Nachmittag ab 13:50 Uhr eine einsetzende Herzfrequenztachykardie zu verzeichnen war, habe dies (im Gegensatz etwa zu einem denkbaren Abfall der Herzfrequenz) keine akute Gefahr für das Kind dargestellt. Zwar sei auch ein solches Ereignis abklärungsbedürftig, doch unmittelbarer Handlungsbedarf habe sich daraus nicht ergeben. Eine Überprüfung des CRP-Wertes vor 14:35 Uhr sei vom Standard nicht gefordert gewesen, eine Unterschreitung desselben bei der Befunderhebung zur Diagnose eines AIS sei vorliegend nicht gegeben.
Der Entschluss zur Kaiserschnittentbindung sei angesichts der erhobenen Befunde nicht verspätet getroffen worden. Bei Verdacht auf AIS sei keine Notfallsectio angezeigt, vielmehr lediglich eine baldige Geburt innerhalb von 30-60 Minuten. Dieses Zeitfenster sei gewahrt worden, wenn um 14:35 Uhr die Erhöhung des CRP-Werts notiert wurde, um 15:00 Uhr ein weiterer Hinweis in Form von beginnenden Fieber mit 38,9 Grad und bei der Untersuchung um 15:08 Uhr das beginnende AIS diagnostiziert worden sei, woraufhin schließlich der Kläger um 15:38 entbunden worden war.
In der Überwachung des Klägers und seiner Mutter unter der Geburt seien schließlich auch keine Hinweise auf einen Infarkt des Klägers verkannt worden. Dass der Infarkt vor der Entbindung erlitten worden war, habe sich nicht einmal feststellen lassen. Ein intrauteriner Infarkt führe auch nicht zu feststellbaren Symptomen bei der Mutter. Es handle sich im Übrigen um eine äußerst seltene Entität, daher ließen sich auch keine dahingehenden Aussagen treffen, dass und wie sich ein solches Ereignis im CTG niederschlagen könnte. Es könne allerdings durchaus sein, dass ein solcher Infarkt im CTG gar nicht aufscheine, weil er die Herz-Kreislauffunktion eben gar nicht zeitnah berühre.
Zwar sei umgekehrt denkbar, dass sich dies in Form von pathologische Entwicklungen des CTG äußere, dies müssten jedoch vornehmlich Bradykardien oder schwere Dezelerationen sein oder ein deutlicher Oszillationsverlust bis hin zur endenden Herzfrequenzkurve. Solche Entwicklungen waren im CTG des Klägers aber nicht zu verzeichnen gewesen.
Da schließlich Behandlungsfehler der Beklagten nicht zu konstatieren waren, müsse die eigentliche Ursache des Infarkts des Klägers auch nicht mehr durch Einholung eines neuropädiatrischen Gutachtens abgeklärt werden. Der Sachverständige hatte allerdings darauf hingewiesen, dass eine Infektion (hier AIS) zwar grundsätzlich Ursache einer Thrombose sein könne. Doch stelle dies eine äußerst seltene Entwicklung dar. In der Regel dürfe kein Zusammenhang zwischen einem Infarkt und einem AIS bestehen, zumal eine Infektion des Klägers gar nicht festgestellt werden konnte.
Die Bewertung:
Die Entscheidung behandelt diverse typische Parameter eines Geburtsschadensfalles. Hervorzuheben ist, was das Gericht zum klägerischen Wunsch nach einer 1:1-Betreuung durch die Hebamme ausgeführt hat. Dieses Monitum wird geradezu klassischerweise in Geburtshaftungsklagen mitaufgeführt. Genauso klassisch ist es, wenn Sachverständige im Gutachten und im Gerichtstermin darauf verweisen, dass eine derartige 1:1-Betreuung angesichts der notorischen Personalknappheit im Gesundheitswesen, wenn nicht gar dem Bereich der Utopie, so aber doch einer noch fernen Zukunft zugehörig sei. Regelmäßig lässt sich auf diese Weise keine Haftung der Behandler begründen.
Mit der auch vorliegend relevanten Analyse des CTG und der Frage, ab wann sich daraus Handlungserfordernisse und ein entsprechendes Zeitfenster (z.B. Indikation zur sektio) ergeben, haben sich die Sachverständigen in der Geburtshaftung ebenfalls regelmäßig auseinanderzusetzen. Interessant und beachtlich sind dabei vorliegend die Ausführungen zu Diagnostik und gebotenem Pflichtenprogramm des Arztes bei Amnioninfektionssyndroms unter der Geburt. Ferner die Behandlung der ungeklärten Frage, inwiefern sich ein intrauteriner Infarkt des Kindes (eine Rarität) im CTG niederschlagen könnte.
Dr. iur. Philipp Brennecke, LL.M.OEC.
Rechtsanwalt
Eine Corona-Impfung alleine (ohne weitere Folgen) rechtfertigt kein Schmerzensgeld
Urteil des LG Ravensburg vom 16.03.2023 – Az.: 3 O 1/23
Sachverhalt:
In der vorliegenden Entscheidung des LG Ravensburg ging es um die Klage des Alleinerben eines verstorbenen Patienten. Diese wurde im Wesentlichen auf die Behauptung gestützt, der Patient sei hinsichtlich der mehrfachen Corona-Impfungen nicht hinreichend aufgeklärt worden. Der Tod des schon älteren Patienten hat jedoch nichts mit den jeweiligen Impfungen zu tun. Bei einem der Impftermine war der Alleinerbe und jetzige Kläger dabei. Einen weiteren Termin hat der Patient alleine wahrgenommen. Für die Corona-Impfungen liegen auch entsprechende Aufklärungs- und Einwilligungsformulare vor, die von dem Patienten unterschrieben sind. Streitig ist hingegen der Inhalt der Aufklärungsgespräche. Der Kläger macht für jede Impfung des Patienten ein (übergegangenes) Schmerzensgeld von 7.500,- EUR geltend.
Die Entscheidung des LG Ravensburg:
Das LG Ravensburg hat die Klage abgewiesen. Dabei kann es nach Ansicht des LG dahinstehen, ob und inwiefern der Patient vor den jeweiligen Corona-Impfungen gehörig aufgeklärt wurde. Denn nach Ansicht des LG fehlt es an einem tauglichen Schaden. Zwar weist das LG darauf hin, dass dem Schmerzensgeld in Arzthaftungsangelegenheiten grundsätzlich sowohl eine Ausgleichs- als auch eine Genugtuungsfunktion zukommt. Allerdings trete der Aspekt der Genugtuung in der Arzthaftung regelmäßig weitgehend in den Hintergrund, da das ärztliche Bestreben auf Heilung ausgerichtet ist.
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes müsse man, soweit es um die Ausgleichsfunktion geht, auf die konkreten Umstände des Falles abstellen. Entscheidend sei, ob überhaupt ein immaterieller Schaden entstanden sei.
Dies sei bei Bagatellverletzungen, d.h. bei Beeinträchtigungen, die sowohl von der Intensität als auch der Art der Verletzung nur ganz gering sind und üblicherweise den Betreffenden nicht nachhaltig beeindrucken, gerade nicht der Fall. Als typische Beispiele für Bagatellverletzungen werden geringfügige oberflächliche Weichteilverletzungen, leichte Kopfschmerzen, Schleimhautreizungen u.ä. genannt.
Im konkreten Fall wurde lediglich für die Impfungen an sich ein Schmerzensgeld geltend gemacht. Weitere Folgen bestanden nicht und wurden von dem Kläger nicht einmal vorgetragen. Es wurden nicht einmal Schwellungen o.ä. infolge der Impfungen behauptet.
Nach Ansicht des LG stellt die bloße Corona-Impfung ohne weitere Folgeschäden eine Bagatellverletzung dar mit der Folge, dass ein Schmerzensgeld schon aufgrund dessen nicht gerechtfertigt ist.
Fazit:
Die Entscheidung des LG Ravensburg ist für den dort entschiedenen Fall meines Erachtens sehr gut nachzuvollziehen. Selbstverständlich muss hierbei berücksichtigt werden, dass dort lediglich für die Impfungen an sich ein Schmerzensgeld geltend gemacht wurde. Es gab keinerlei Folgen. Vor diesem Hintergrund erscheint es gut vertretbar, lediglich eine Bagatellverletzung anzunehmen, die nicht zu einem Schmerzensgeld führt. Sobald klägerseits weitere Folgen einer Corona-Impfung behauptet werden, dürfte der Fall jedoch anders zu bewerten sein. Jedenfalls kommt dann eine Klageabweisung nach den Grundsätzen einer entschädigungslosen Bagatellverletzung nicht mehr in Betracht.
Im Übrigen steht das LG Ravensburg mit seiner Auffassung nicht alleine da. Das OLG Dresden hat in dem Beschluss vom 05.01.2017 – Az.: 4 U 1385/16 die bloßen mit einer Injektion verbundenen Schmerzen ebenfalls als eine Bagatellverletzung angesehen, die kein Schmerzensgeld rechtfertigen.
Dirk Benson
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
Verletzung des rechtlichen Gehörs bei Nichteinholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens durch das Gericht
Urteil des OLG Dresden vom 08.06.2021 – Az.: 4 U 2486/20)
Das OLG Dresden hat mit seinem Urteil vom 08.06.2021 (4 U 2486/20) nochmals bekräftigt, dass in Arzthaftungsverfahren eine gesteigerte Pflicht des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung besteht, die in der Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen gebietet. Zudem hat es entschieden, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 I GG vorliegt, wenn das Gericht ein solches Gutachten nicht einholt, weil es den maßgeblichen Vortrag einer Partei nicht zur Kenntnis nimmt und den Rechtsstreit auf eine nichtmedizinische Fragestellung verengt.
Zum Sachverhalt:
Die Klägerin machte vor dem LG Görlitz Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegenüber der Beklagten aufgrund eines Behandlungsfehlers geltend. Hierzu trägt sie vor, dass ihr von der Streitverkündeten nach einer Fußoperation ein Spezialschuh, „Walker“, geliefert und angepasst wurde. Da die Beklagte diesen Walker fehlerhaft medizinisch kontrollierte, habe die Klägerin gesundheitliche Schäden erlitten.
Das Landgericht wies die Klage mit der Begründung einer fehlenden Passivlegitimation ab, da für die Lieferung und Anpassung des Walkers nicht die Beklagte, sondern die Streitverkündete verantwortlich sei.
Die Klageabweisung des Landgerichts Görlitz vom 02.12.2020 greift die Klägerin mit der Begründung an, das LG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Sie beanstandet, das Gericht habe ihren Sachvortrag nicht ausreichend berücksichtigt und ihr keine Möglichkeit gewährt auf den gerichtlichen Hinweis zur fehlenden Passivlegitimation weiter vorzutragen. Hierbei habe das Gericht verkannt, dass der geltend gemachte Schadenersatzanspruch nicht auf der Lieferung eines fehlerhaften Walkers, sondern auf einer fehlerhaften Diagnose, einer unterlassenen ärztlichen Behandlung und einer nicht fachgerechten Durchführung der Krankenpflege seitens der Beklagten basiere. Hierdurch habe die Klägerin mehrere gesundheitliche Schäden erlitten, die zu den geltend gemachten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen führen.
Das OLG gab der Berufung statt, da das LG die Notwendigkeit und Anforderungen an die Einholung eines Sachverständigengutachtens verkannt habe. Indem das Landgericht die Klage ohne erforderliche Beweiserhebung abgewiesen hat, habe es wesentlichen Sachvortrag der Klägerin zu einem Behandlungsfehler der Beklagten nicht berücksichtigt und die Klägerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Hintergrund:
Derjenige, der Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche erfolgreich geltend machen möchte, muss die anspruchsbegründenden Umstände darlegen und beweisen. Dies fällt jedoch Patienten, die Ansprüche aufgrund eines Behandlungsfehlers geltend machen möchten sichtlich schwer, da diesen meist die erforderlichen medizinischen Fachkenntnisse und der Einblick in die organisatorischen und personellen Strukturen der Behandlung fehlen.
Um hier ein faires Verfahren zu ermöglichen und dem Gebot der Waffengleichheit gerecht zu werden, gilt in Arzthaftungsverfahren eine verstärkte Pflicht des Gerichts zur Sachverhaltsaufklärung. Dies bedeutet, dass der Patient nicht alle Umstände der Behandlung selbst vortragen muss, damit sie zum Gegenstand des Verfahrens werden. Außerdem sind immer nur maßvolle Anforderungen an die Substantiierungspflicht des Patienten zu stellen. Da es dem Patienten regelmäßig an der erforderlichen Fachkenntnis fehlt und dieser zudem keine Möglichkeit hat Einsicht in die genauen Behandlungsabläufe zu nehmen, darf sich dieser auf die Vermutung eines Behandlungsfehlers durch die Beklagte beschränken. Es kann nicht erwartet werden, dass er genaue Kenntnisse über die medizinischen Vorgänge hat.
Die gesteigerte Sachaufklärungspflicht (§ 139 ZPO) des Gerichts führt zur Einholung eines Sachverständigengutachtens (§ 144 Abs. 1 S. 1 ZPO) von Amts wegen, soweit der Sachverhalt nur durch ein solches ermittelt werden kann. Das Gericht darf nicht selbst den medizinischen Sorgfaltsmaßstab festlegen, sondern ist angehalten Beweis durch ein medizinisches Sachverständigengutachten zu erheben. Unterbleibt eine gebotene Beweiserhebung, verletzt dies regelmäßig den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG.
Praxishinweis:
Die Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens kann von Amts wegen nach § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO oder aber auf Antrag einer Partei nach § 403 ZPO erfolgen. Das Gericht muss den Sachverständigenbeweis nach pflichtgemäßem Ermessen von Amts wegen erheben, wenn seine eigene Sachkunde nicht ausreicht, was im Arzthaftungsprozess regelmäßig anzunehmen ist. Dem Gericht ist es verwehrt, medizinische Fragen aufgrund der Anwendung eigener Sachkunde zu beantworten.
Rechtliche Folgen:
Stefanie Löbermann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Versicherungsrecht
Schockschaden
Urteil des BGH vom 06.12.2022 – Az.: VI ZR 168/21
Der Fall:
Die Tochter des Klägers wurde im Alter von fünf und sechs Jahren von dem Beklagten mehrfach sexuell missbraucht. Der Kläger, als Vater des Opfers, begehrte Schmerzensgeld von dem Beklagten. Zur Begründung führte er aus, dass er durch die Kenntniserlangung von der Tat und deren Einzelheiten selbst eine schwere depressive Verstimmung erlitten hat. Durch das Bekanntwerden des Missbrauchs des Beklagten zum Nachteil seiner Tochter hat der Kläger eine Anpassungsstörung, Ängste, Einschränkungen bei seinen Alltagsroutinen, verbunden mit einem Rückzug von Sozialkontakten, über einen Zeitraum von über einem Jahr erlitten und war deswegen über ein Jahr arbeitsunfähig erkrankt.
Das Landgericht Lüneburg sprach dem Kläger nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens ein eigenes Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 Euro zu. Das Oberlandesgericht Celle bestätigte dieses Urteil und wies die Berufung des Beklagten ab. Der Beklagte legte auch noch eine Revision ein beim BGH ein, um die Klage abweisen zu lassen. Der BGH bestätigte jedoch die vorausgegangenen beiden Urteile der Instanzgerichte zu Lasten des Beklagten. Insbesondere bestätigte der BGH, dass dem Kläger auch dann ein Schmerzensgeldanspruch zustehen kann, wenn er „lediglich“ eine mittelbare psychische Störung erlitten hat. Der BGH änderte damit seine ständige Rechtsprechung zu mittelbaren, psychischen Schäden. Allerdings verwies der BGH das Verfahren wieder zurück an das Oberlandesgericht, weil die Höhe des Schmerzensgeldes noch einmal neu berechnet und bemessen werden müsse.
Die Entscheidung des BGH:
Mit dem Urteil nimmt der BGH eine Änderung seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung zu den sogenannten Schockschäden vor. Der BGH betont, dass seine bisherige Rechtsprechung (vgl. BGH, Urt. v. 21.05.2019, VI ZR 299/17) unangemessen hohe Anforderungen an den Nachweis eines sogenannten Schockschadens aufgestellt habe.
Psychische Störungen von Krankheitswert wurden zwar auch zuvor bereits als Gesundheitsschädigung nach § 823 Abs. 1 BGB anerkannt. Bei sogenannten Schockschäden grundsätzlich auch dann, wenn sie bei dem Geschädigten mittelbar durch die Verletzung des Rechtsguts eines Dritten hervorgerufen wurden. Bislang wurden psychische Beeinträchtigungen allerdings lediglich dann als schmerzensgeldrelevante Gesundheitsverletzung anerkannt, wenn sie pathologisch fassbar sind und über diejenigen gesundheitliche Beeinträchtigungen hinausgehen, denen ein Betroffener beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ohnehin ausgesetzt ist.
An der letzteren Einschränkung, dass die Beeinträchtigung über das „normale Maß“ der Beeinträchtigung hinausgehen muss, hält der BGH jetzt nicht mehr fest. Für die Annahme einer Gesundheitsverletzung ist damit nun nicht mehr vorauszusetzen, dass die Störung ein außergewöhnlich hohes Ausmaß aufweist.
Vielmehr betont der BGH, dass die Beeinträchtigung Dritter, wie hier des Klägers, grundsätzlich schon dann Krankheitswert haben könne, wenn die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar ist. Auch seelische Erschütterungen, wie die Trauer und die depressive Verstimmung des Klägers, können damit als Gesundheitsbeeinträchtigung, hervorgerufen durch den Missbrauch seiner Tochter, bewertet werden.
Fazit:
Mit der Entscheidung des BGH werden Rechte von Betroffenen, die sogenannte Schockschäden erleiden, gestärkt. Mit der Änderung seiner Rechtsprechung setzt der BGH die Voraussetzungen für den Nachweis von physischen und psychischen Beeinträchtigungen grundsätzlich gleich.
Michael Arndt, LL.M.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
Keine weitere Bedenkzeit nach der Entscheidung zur Behandlung
Urteil des BGH vom 20.12.2022 - Az.: VI ZR 375/21
Der Fall:
Der Kläger nimmt die beklagte HNO-Klinik wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung und unzureichender Aufklärung in Anspruch. Der Kläger litt unter chronisch rezidivierenden Ohrenentzündungen und Paukenergüssen und wurde aufgrund dessen im Hinblick auf eine mögliche Ohroperation (Mastoidektomie) an die beklagte HNO-Klinik verwiesen. Dort wurde der Kläger am 28.10.2013 untersucht und ihm wurde im Anschluss geraten, in einem ersten Schritt zur Optimierung der Nasenluftpassage die Nasenscheidewand begradigen und die Nebenhöhlen sanieren zu lassen. Am 01.11.2013 wurde der Kläger über die Risiken des beabsichtigten Eingriffs aufgeklärt. Im Anschluss an das Aufklärungsgespräch unterschrieb der Kläger das Formular zur Einwilligung in den operativen Eingriff, der sodann am 04.11.2013 durchgeführt wurde. Intraoperativ kam es zu einer Verletzung der Dura, der vorderen Hirnschlagader und zu einer Durchtrennung des Riechnervs mit Notwendigkeit einer Folge-Operation. Der Kläger nahm in der Folgezeit mit der Behauptung, die OP vom 01.11.2013 sei fehlerhaft durchgeführt worden und er sei unzureichend aufgeklärt worden, die Beklagte auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Im Hinblick auf die Aufklärung konstatierte der Kläger unter anderem, ihm sei keine Bedenkzeit zwischen der mündlichen Aufklärung und der Entscheidung über die Einwilligung eingeräumt worden, sodass die Einwilligung unwirksam sei.
Die Entscheidung:
Das Hanseatische Oberlandesgericht hatte in der Vorinstanz die klägerische Auffassung bestätigt und geurteilt, dass die Einwilligung des Klägers unwirksam war, da ihm entgegen § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB keine Bedenkzeit zwischen der Aufklärung über die Risiken des Eingriffs und der Entscheidung über die Einwilligung in diesen eingeräumt worden war. Der BGH sah dies anders. Er hat entschieden, dass es zwischen der ärztlichen Aufklärung vor einer medizinischen Behandlung und der vom Patienten erteilten Einwilligung keine zwingend einzuhaltende Bedenkzeit im Sinne einer „Sperrfrist“ gibt, deren Nichteinhaltung zu einer Unwirksamkeit der Einwilligung führt.
Der BGH führte aus, dass in § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Selbstbestimmungsaufklärung kodifiziert worden sind. Inhaltlich ergebe sich durch die gesetzliche Vorschrift keine Änderungen der bisherigen Rechtslage. Gemäß § 630 e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB muss der Patient vor dem beabsichtigten medizinischen Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahrnehmen kann.
Der BGH stellt in seiner Entscheidung ausdrücklich klar, dass es nach ordnungsgemäßer und insbesondere rechtzeitiger Aufklärung dann Sache des Patienten ist, zu welchem Zeitpunkt er seine Entscheidung hinsichtlich der Erteilung oder Versagung der Einwilligung in den Eingriff trifft. Sofern er sich nach ordnungsgemäßer Aufklärung unmittelbar dazu in der Lage sieht, eine entsprechende Entscheidung zu treffen, ist es sein Recht, die Einwilligung auch unmittelbar zu erteilen. Einen bestimmten Zeitraum, der zwischen Aufklärung und Einwilligung eingehalten werden muss und dessen Unterschreitung zu einer Unwirksamkeit der Einwilligung führen würde, sieht § 630 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB indes nicht vor. Der BGH stellt weiter ausdrücklich klar, dass der ordnungsgemäß aufgeklärte Patient nicht passives Objekt ärztlicher Fürsorge ist, sondern er dazu berufen ist, von seinem Selbstbestimmungsrecht auch aktiv Gebrauch zu machen und an der Behandlungsentscheidung mitzuwirken. Es könne vom mündigen Patienten verlangt werden, kundzutun, sofern dieser nach erfolgter ordnungsgemäßer Aufklärung noch Bedenkzeit für eine Behandlungsentscheidung benötige. Sofern er hiervon keinen Gebrauch mache, dürfe der Arzt grundsätzlich davon ausgehen, dass er keine weitere Bedenkzeit benötige. Etwas anderes sei nur dann geboten, wenn bei medizinischer Vertretbarkeit für den Arzt erkennbar konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass der Patient noch Zeit für die von ihm zu treffende Entscheidung benötigt. Der BGH hat zudem ausgeführt, dass es sich bei der Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff nicht um ein Rechtsgeschäft handelt, sondern um eine Gestattung zur Vornahme von tatsächlichen Handlungen, die in den Rechtskreis des gestattenden Patienten eingreift. Die zivilrechtlichen Vorschriften über Willenserklärungen finden keine unmittelbare Anwendung. Auch ist die Einwilligung in den ärztlichen Eingriff nicht an eine bestimmte Form gebunden, sie kann ausdrücklich erfolgen oder sich konkludent aus den Umständen und dem gesamten Verhalten des Patienten ergeben.
Fazit:
Mit seiner Entscheidung hat der BGH deutlich gemacht, dass bei einer Aufklärung, die nach der Vorschrift des § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB rechtzeitig erfolgt ist, grundsätzlich keine weitere Bedenkzeit einzuhalten ist, bevor der Patient wirksam in den Eingriff einwilligen kann. Eine entsprechende „Sperrfrist“ sieht das Gesetz nicht vor.
Nathalie Mix
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizin- und Versicherungsrecht
Zur ärztlichen Aufklärungspflicht bei Covid-19 Impfungen mit einem mRNA –Impfstoff
Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 14.02.2023 – Aktenzeichen WO 1 O 65/22
Bei der Impfung mit dem mRNA-Impfstoff erfüllt der impfende Arzt seine Aufklärungspflicht, wenn er nach vorheriger schriftlicher Aufklärung mittels Merkblatt jedem Impfling die Möglichkeit gegeben hat, im mündlichen Arztgespräch unmittelbar vor der Impfung Nachfragen zu stellen und weitere Informationen zu erhalten.
Sachverhalt:
Die Klägerin absolvierte in einem Pflegeheim eine Ausbildung zur Kranken- und Altenpflegerin und wurde hier von der Beklagten, eine ehrenamtlich tätige Ärztin der Corona-Impfzentren, im Januar und Februar 2021 mit dem mRNA-Impfstoffe Pfizer-BioNTech COVID-19 Vakzin "Comirnaty" geimpft. Mit Verdacht auf eine Impfreaktion wurde die Klägerin einen Tag nach der zweiten Impfung mit geringgradiger sensomotorischer Hemiparese links und geringer Gangunsicherheit in einer Klinik stationär behandelt. Die Klägerin fordert ein Schmerzensgeld von mindestens 50.000 € sowie Schadensersatz.
Die Klägerin hatte unstreitig kurz vor Weihnachten 2020 einen Aufklärungs- und Anamnesebogen des Sozialministeriums erhalten. Diesen füllte die Klägerin aus und unterschrieb den Bogen. Sie gab an, keine Fragen zu haben und der Impfung zuzustimmen.
Unstreitig ist auch, dass ein mündliches Aufklärungsgespräch mit Darstellung des Risikospektrums vor der Impfung der Klägerin nicht erfolgt ist. Allerding hat die Beweisaufnahme ergeben, dass die Klägerin unmittelbar vor der Impfung von der Beklagten gefragt wurde, ob sie in den letzten 14 Tagen geimpft wurde, ob sich auf eine frühere Impfung eine Reaktion gezeigt hatte und ob die Klägerin noch Fragen zur Impfung hat. Vor der zweiten Impfung hat die Beklagte die Klägerin zudem gefragt, wie sie die erste Impfung vertragen hat und ob es noch weitere Fragen gibt. In beiden Terminen wurden keine Fragen gestellt.
Die Klägerin behauptet mit der Klage, dass sie nicht ausreichen über die Risiken der Impfung aufgeklärt wurde und dass ihre Einwilligung deshalb unwirksam ist.
Die Entscheidung des LG Heilbronn:
Das Landgericht Heilbronn hat die Klage abgewiesen. Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, dass bei der Impfung mit dem mRNA-Impfstoff der impfende Arzt seine Aufklärungspflicht erfüllt, wenn er nach vorheriger schriftlicher Aufklärung mittels Merkblatt jedem Impfling die Möglichkeit gegeben hat, im mündlichen Arztgespräch vor der Impfung Nachfragen zu stellen und weitere Informationen zu erhalten. Insoweit hat das Landgericht Heilbronn die Grundsätze des Bundesgerichtshofs für öffentlich empfohlene Routineimpfungen, wie z.B. Polio oder Tetanus, auf den vorliegenden Fall übertragen und angewandt. Dies obwohl die Covid-19-Impfung mit dem mRNA-Impfstoff laut Gericht nicht als Routineimpfung angesehen werden könne, weil es sich um einen neuartigen Impfstoff gehandelt hat und lediglich eine vorläufige Zulassung des Impfstoffes vorlag. Allerdings war die Covid-19-Impfung mit dem mRNA-Impfstoff öffentlich von der STIKO empfohlen worden. Die Covid-19-Impfung und die Empfehlung war das bestimmende Thema in Politik, Gesellschaft und der Berichterstattung der Medien und wurde in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Daher sei davon auszugehen, dass Grund der Impfung und der Impfstoff der Bevölkerung allgemein bekannt war und somit seien die Grundsätze zur Routineimpfung im vorliegenden Fall gleichwohl anzuwenden.
Fazit:
Bei der Impfung mit dem mRNA-Impfstoff Pfizer-BioNTech COVID-19 Vakzin "Comirnaty" erfüllt der impfende Arzt seine Aufklärungspflicht, wenn er nach vorheriger schriftlicher Aufklärung mittels Merkblatt jedem Impfling die Möglichkeit gegeben hat, im mündlichen Arztgespräch unmittelbar vor der Impfung Nachfragen zu stellen und weitere Informationen zu erhalten.
Die rechtliche Aufarbeitung der Covid-19-Impfung kann sicherlich als pragmatisch bezeichnet werden. Abzuwarten bleibt nun, ob die Klägerin Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen wird und ob die Entscheidung des Landgerichts dann der rechtlichen Überprüfung durch das Oberlandesgericht standhält. Diskutiert werden kann wohl darüber, ob die mRNA-Impfung der Routineimpfung gleichgesetzt werden kann. Fraglich dürfte dann jedoch auch sein, ob die Klägerin nicht dies Risiken der Impfung kannte. Zudem könnte wohl auch ein bewusstes Behandlungsbegehren zu bejahen sein, da sich die Klägerin selbständig und freiwillig zur Impfung bei der Beklagten vorgestellt hatte und das im Übrigen zwei Mal. Insoweit könnte die Aufklärung möglicherweise als entbehrlich angesehen werden. Jedenfalls dürfte wohl der Einwand zur hypothetischen Einwilligung greifen.
Abgesehen davon hätte die Klägerin gemäß § 286 ZPO nachzuweisen, dass die neurologischen Ausfallerscheinungen ursächlich auf die Impfung zurückzuführen sind. Dies wurde im vorliegenden Fall nicht weiter geprüft.
Tanja Bjelajac
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht
Nicht jede abweichende Ansicht eines MDK-Gutachters rechtfertigt die Einholung eines Obergutachtens
Beschluss des OLG Brandenburg vom 22.09.2022 – Az.: 12 U 63/22)
Das OLG Brandenburg hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit den Anforderungen an die Einholung eines Obergutachtens gem. § 412 ZPO befasst.
Der Fall:
Der im Jahr 2010 geborene Kläger nimmt die Beklagte als Trägerin eines Krankenhauses in Anspruch. Nach seiner Behauptung wurde in der Klinik der Beklagten im Rahmen einer echokardiographischen Untersuchung im März 2012 fehlerhaft ein offener Ductus Botalli nicht erkannt. Mit der Klage macht er ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 250.000 € sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden geltend.
Der gerichtliche Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass sich den behandelnden Ärzten der Beklagten im Rahmen der streitgegenständlichen Echokardiographie im März 2012 keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Herzfehlers geboten hätten. Demgegenüber war der MDK-Gutachter in seinem vorprozessual eingeholten Gutachten der Auffassung, dass der offene Ductus Botalli bereits im März 2012 vorgelegen haben dürfte. Dies hat er unter anderem mit einem Rückschluss aus einer im Januar 2014 durchgeführten Untersuchung und Flusskurvendarstellung begründet.
Das Landgericht Frankfurt/Oder hat die Klage erstinstanzlich abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Die Entscheidung:
Das OLG Brandenburg als Berufungsinstanz betonte, dass der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht den ihm obliegenden Beweis geführt habe, dass bereits im März 2012 ein offener Ductus Botalli vorgelegen habe. Das erstinstanzlich eingeholte gerichtliche Sachverständigengutachten habe dies nicht bestätigt. So habe der Sachverständige ausgeführt, dass bei der im März 2012 durchgeführten Echokardiographie ein offener Ductus Botalli gerade nicht festgestellt wurde. Das Gericht betonte, dass die gegenteilige Auffassung des MDK-Gutachters, wonach der Ductus bereits im März 2012 offen gewesen sein dürfte, auf einem ex post gezogenen Rückschluss aus einer im Jahr 2014 durchgeführten Untersuchung und Flusskurvendarstellung beruhe. Zudem stellte das Gericht heraus, dass selbst der MDK-Gutachter es lediglich für „diskutabel“ gehalten habe, dass der Ductus bereits im Jahr 2012 offen gewesen sei. Schließlich habe dieser selbst eingeräumt, dass eine sichere Aussage erst zum 24.01.2014 möglich sei.
Das Gericht führte aus, dass dies für den erforderlichen Überzeugungsgrad des Gerichts nicht ausreichend sei. Zudem seien auch die Voraussetzungen der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens gem. § 412 ZPO nicht erfüllt. Allein der Umstand, dass der MDK-Gutachter hier eine gegenteilige Auffassung zu derjenigen des gerichtlichen Sachverständigen vertreten würde, reiche hierfür nicht aus. Denn die Auffassung des MDK-Gutachters sei vorliegend letztlich nur spekulativ und beruhe nicht auf dem Befund der im März 2012 durchgeführten Echokardiographie.
Fazit:
Das OLG Brandenburg hat in dieser Entscheidung die besonders hohen Voraussetzungen der Einholung eines Obergutachtens betont. Es ist festzuhalten, dass die Einholung eines Obergutachtens grundsätzlich nur ausnahmsweise in Betracht kommt. In Literatur und Rechtsprechung werden regelmäßig Fälle genannt, in denen es um die Beantwortung besonders komplexer Fragen geht oder ein bereits eingeholtes gerichtliches Sachverständigengutachten unter groben Mängeln leidet, beispielsweise unvollständig ist.
Luisa-Maria Hartmann, Rechtsanwältin
JORZIG Rechtsanwälte
Schadowplatz 12
40212 Düsseldorf
Telefon: (0211) 82 82 72 - 0
Telefax: (0211) 82 82 72 - 50
E-Mail: ddorf@jorzig.de
Kurfürstendamm 184
10707 Berlin
Telefon: (030) 88 77 69 - 0
Telefax: (030) 88 77 69 - 15
E-Mail: berlin@jorzig.de