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Liebe Leserinnen und Leser,
mit unserem Juni-Newsletter informieren wir Sie über aktuelle Themen der Gesundheitspolitik und fassen aktuelle Gerichtsentscheidungen im Gesundheitsrecht für Sie zusammen. Topthemen sind heute die KI-Regulierung in Europa und die Reform der deutschen Krankenhäuser.
Ihre Team von JORZIG Rechtsanwälte
Gesetzgebung und Politik
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Gute oder schlechte KI
Regeln für Künstliche Intelligenz in Europa
Lang gefordert kommt nun der erste regulatorische Ansatz für die Etablierung und Entwicklung sogenannter KI-Systeme, der Artificial Intelligence Act – AI Act oder in der deutschen Version KI-Verordnung genannt. Das Europäische Parlament hat am 14.06.2023 darüber abgestimmt, nachdem die beiden zuständigen Ausschüsse den aktualisierten und umfangreich geänderten Entwurf von 2021 beschlossen haben.
Die Bedeutung für den Gesundheitssektor zusammenzufassen, ist nicht ganz einfach. Insgesamt ist es schon überaus schwierig den Begriff „künstliche Intelligenz“ zu definieren, weil die Technologien gerade erst durch die konkrete Anwendungen Gestalt erlangen. Außerdem soll die ethische Entscheidung „gute oder schlechte KI“ schon vor der Entwicklung beantwortet werden. „Designentscheidungen sind Werteentscheidungen“ sagen die einen. Das geht nicht, sagen dagegen Softwareentwickler: das Potential einer Entwicklung kenne man gerade nicht genau am Anfang. Man könnte nicht jeden Entwicklungsschritt validieren.
Die Vorschriften des AI-Acts folgen einem risikobasierten Ansatz und legen Verpflichtungen für Anbieter und Nutzerinnen und Nutzer fest, die sich nach dem Grad des Risikos richten, das die KI erzeugen kann.
KI-Systeme, die ein inakzeptables Risiko für die Sicherheit von Menschen darstellen, sind verboten. Dazu gehören Systeme, die unterschwellige oder absichtlich manipulative Techniken einsetzen, die Schwachstellen von Menschen ausnutzen oder für Social Scoring verwendet werden. Die Liste wurde von den Abgeordneten erheblich verändert und umfasst jetzt auch aufdringliche und diskriminierende Anwendungen von KI-Systemen, wie biometrische Erkennungssysteme in Echtzeit in öffentlich zugänglichen Räumen, biometrische Erkennungssysteme im Nachhinein; biometrische Kategorisierungssysteme, die sensible Merkmale verwenden (z. B. Geschlecht, Rasse, ethnische Zugehörigkeit, Staatsangehörigkeit, Religion, politische Orientierung); Systeme zur Erkennung von Emotionen bei der Strafverfolgung, beim Grenzschutz, am Arbeitsplatz und in Bildungseinrichtungen.
Die Abgeordneten haben die Klassifizierung der Hochrisikobereiche um die Bereiche Gesundheit, Sicherheit, Grundrechte und Umwelt erweitert.
Zudem wurden Ausnahmevorschriften aufgenommen, die der Förderung von KI-Innovation dienen, hier insbesondere für Forschungstätigkeiten an KI-Komponenten unter Open-Source-Lizenzen. Reallabore (regulatory sandboxes) und kontrollierte Umgebungen, die von öffentlichen Behörden eingerichtet werden, um KI vor ihrem Einsatz zu testen, sollen möglich sein.
Die Abgeordneten wollten das Recht der Bürgerinnen und Bürger stärken, Beschwerden über KI-Systeme einzureichen und Erklärungen zu Entscheidungen zu erhalten, die auf risikoreichen KI-Systemen basieren und ihre Rechte erheblich beeinträchtigen können.
Die Abgeordneten haben auch die Rolle des EU-Amtes für künstliche Intelligenz neugefasst, dem jetzt die Überwachung der Umsetzung des KI-Regelwerks zukommt.
Bewertung: Wir empfehlen die zusammenfassende Bewertung des Rechtswissenschaftlers Prof. Hacker von der Viadrina Uni im Deutschlandfunk am 3. Juni.
KI-Regeln in Deutschland?
Zur Frage, was in Deutschland hinsichtlich der KI-Regulierung passiert, war die Antwort der Bundesregierung BT-Drucks. 20/6862 vom 17. Mai auf die kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag sehr ernüchternd. In den Ministerien werden zwar schon intensiv KI-Systeme genutzt. Es werden auch hohe Fördersummen für KI-Forschung ausgegeben.
Ausgeblieben sind dagegen die versprochenen Strukturen: der Aufbau von Kompetenzen und verbindlichen Prozessen, um die notwendige Transparenz und Nachvollziehbarkeit herzustellen und die potenziellen Risiken bewerten zu können. Das Beratungs- und Evaluierungszentrums für Künstliche Intelligenz, BEKI gibt es ebenso wenig, wie die Algorithmenbewertungsstelle für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, Projekt ABOS. Der beabsichtigte Ordnungsrahmen findet sich in der KI-Strategie des Bundes von 2020.
Der Ausschuss für Digitales des Bundestages hat zu dem Thema „Generative Künstliche Intelligenz“ am 24. Mai nationale und internationale Experten, Aktivisten, Unternehmer, Regulatoren, Wissenschaftler mit sehr vielfältigen Perspektiven angehört. Maßgeblich ging um den AI Act der EU, die Veränderung der Arbeitswelt, die Risiken und die Chancen der Technologie. Die informative Sitzung ist online in der Mediathek nachzusehen.
Weitere Informationen: Wer sich über die Zukunft von KI informieren will dürfte die Anfang des Jahres veröffentlichte Machbarkeitsstudie „Große KI-Modelle für Deutschland“ des KI Bundesverbandes informativ sein.
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Klappt‘s oder kippt‘s? – zur Krankenhausreform
Die vom Bundesgesundheitsminister initiierte Krankenhausreform nimmt weiter Gestalt an. Überraschungsarm wachsen Zuspruch und Hoffnung auf beiden Seiten. Rechtlich dreht sich die Frage momentan darum, wie weit die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes reichen. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat im März eine Zusammenfassung der aktuellen Diskussion erarbeitet, welche für den schnellen Zugang zum Diskussionsstand hilfreich ist.
Zwar gehören der im Frühjahr 2022 eingesetzten Regierungskommission schon drei namhafte Rechtswissenschaftler an. Zwischenzeitlich wurden jetzt weitere Gutachten vorgelegt:
Prof. Kluth von der Uni Halle hat im Auftrag der AOK ein Rechtsgutachten erstattet. Er kommt zum Ergebnis kommt, dass der Bund die Kompetenz habe, eine auf Leistungsbereichen und Leistungsgruppen basierende einheitliche Krankenhaus-Planungssprache verbindlich einzuführen. Wenn es zur effektiven Ausgestaltung der ihm zweifelsfrei zugewiesenen Regelungsmaterie (wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und Recht der Krankenversicherung) notwendig sei, Regelungen kraft Sachzusammenhang oder als Annexregelungen treffen. „Harmonisierende Vorgaben“ für die Planung seien zulässig, solange eine „ausreichende Konkretisierungskompetenz der Länder gewahrt wird“. Ebenso seien „Erweiterungen und Konkretisierungen“ des Bundes in Bezug auf die Bedarfsorientierung der Krankenhausplanung seien kompetenzrechtlich zulässig. Die vorgeschlagenen Regelungen zur Einführung von Leistungsbereichen und Leistungsgruppen dienten der Umsetzung gewichtiger Gemeinwohlbelange, seien hinreichend bestimmt und dem Grundrecht der Unternehmer- und Berufsfreiheit, dem Eigentumsgrundrecht und dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar.
Interessant am Kluth-Gutachten ist, dass er die Kipppunkt-Figur des Bundesverfassungsgerichts im Klimabeschluss verwendet, hier mit dem Argument des demographischen Wandels, welches den Bund ermächtige.
Zum gegenteiligen Ergebnis kommt ein von den unionsgeführten Ländern Bayern, NRW und Schleswig-Holstein eingeholtes Rechtsgutachten von Prof. Wollenschläger von der Uni Augsburg vom 17. April 2023: Die Reformvorschläge der Regierungskommission seien verfassungswidrig. Die bundesrechtliche Regelung für die Krankenhausfinanzierung und -versorgung finde dort ihre Grenze, wo der Bund „strukturrelevante Regelungen“ treffe. Unerheblich sei, dass nicht unmittelbar Vorgaben für die Krankenhausplanung, sondern Vergütungsregelungen per Levelzuordnung getroffen werden sollen. Den Vergütungsstrukturen komme eine erhebliche – die Zuständigkeiten der Länder übermäßig beschneidende - Planungsrelevanz zu.
Bundesgesundheitsminister Lauterbach kommentierte die Ergebnisse damit, dass es sich um den „üblichen Gutachterstreit“ handele.
Nachhörenswert sind dazu die vollständig abrufbaren Vorträge auf dem Rechtssymposium des Gemeinsamen Bundesausschusses zu "Sektorenübergreifende Versorgungsplanung im Lichte der Krankenhausreform" im April. Hier berichten nicht Prof. Wollenschläger, sondern auch Michael Weller (Abteilungsleiter im BMG). Präsentationen und Vortragfolien sind hier vollständig abrufbar. Gekränkt schien der Vertreter des G-BA, Dominik Roters, dass seine Behörde gar nicht in den Prozess einbezogen worden ist. Hierauf meinte Weller, dass eine Krankenhausreform durch den G-BA unmöglich politisch vermittelbar gewesen wäre.
Den Fortgang der Initiative und die Ergebnisse der Bund-Länder-Treffen werden wir in den nächsten Wochen weiter beobachten und Sie informieren.
Diagnose Digital-Desaster?
Die BMG hat im März die lang erwartete Digitalisierungsstrategie veröffentlicht.Auf der Digital-Health-Messe DMEA erklärte die Leiterin der Abteilung Digitalisierung des BMG Dr. Susanne Ozegowski, dass man nicht vorhabe, jede Woche das Papier neu zu schreiben und die vielen anstehenden Prozesse lieber angegangen als nur dokumentiert werden sollten. Auf die Frage, was ihrer Ansicht nach das Wichtigste an der Digitalisierungsstrategie sei, meinte sie: Die elektronische Patientenakte (ePA) sei der Dreh- und Angelpunkt. Ziel sei, dass 80 Prozent ePA-Verbreitung bis 2024 bei den gesetzlich Versicherten verbreitet seien. Während die Kassenärztlichen Vereinigungen die ePA für überhastet halten, haben GKV-Spitzenverband und Deutsche Krankenhausgesellschaft deutlich ihre Unterstützung geäußert. Auf die Frage, wie man vermeidet, dass man vielleicht 80 Mio ePA’s hätte, die aber leer seien, räumte Ozegowski ein, dass für eine großangelegte Kampagne zur Förderung der ePA in der Praxis vom BMG kein Geld bereitgestellt werde.
Bei der Vorstellung seines neuen Buchs „Diagnose Digital-Desaster“ hat der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar nochmals betont, dass es ein großes Versäumnis und Hemmnis sei, nicht geregelt zu haben, dass die Kassen den Versicherten mit der Gesundheitskarte die PIN zur ePA mitzuliefern hätten.
Das stimmt!
RAin Dr. Susann Bräcklein, M. mel.
Rechtsprechung Arzthaftung
Aufklärungspflichten bei Impfung mit mRNA Impfstoff reduziert
Mehr als drei Jahre nachdem die Verbreitung des Coronavirus zu einer weltweiten Pandemie erklärt worden war, wurde der internationale Gesundheitsnotstand nun kürzlich wieder aufgehoben. Die in diesem Zusammenhang entwickelten Impfstoffe haben nach allgemeiner Einschätzung sehr vielen Menschen das Leben gerettet. Einige haben unter Nebenwirkungen gelitten und Einzelne meinen, sie hätten Impfschäden erlitten. Mehrere Klagen auf Entschädigung werden nunmehr vor den Gerichten verhandelt.
Das Landgericht Heilbronn hat mit Urteil vom 14.2.2023 (Az. WO 1 O 65/22) eine Entscheidung zur ärztlichen Aufklärungspflicht bei Covid-19-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff getroffen.
Die Klägerin hatte kurz vor Weihnachten 2020 einen Aufklärungs- und Anamnesebogen des Sozialministeriums erhalten und diesen ausgefüllt und unterschrieben. Sie gab an, keine Fragen zu haben und der Impfung zuzustimmen. Ebenso erfolgt ein mündliches Aufklärungsgespräch mit Darstellung des Risikospektrums vor der Impfung der Klägerin nicht erfolgt ist.
Die Klägerin wurde hier von der beklagten Ärztin im Januar und Februar 2021 mit dem mRNA-Impfstoffe Pfizer-BioNTech COVID-19 Vakzin "Comirnaty" geimpft. Mit Verdacht auf eine Impfreaktion wurde die Klägerin einen Tag nach der zweiten Impfung mit geringgradiger sensomotorischer Hemiparese links und geringer Gangunsicherheit in einer Klinik stationär behandelt. Sie forderte ein Schmerzensgeld von mindestens 50.000 €, mit der Begründung nicht hinreichender Aufklärung.
Das Gericht wies die Klage ab. Ein impfender Arzt erfülle seine Aufklärungspflicht, wenn nach vorheriger schriftlicher Aufklärung mittels Merkblatt jedem Impfling die Möglichkeit gegeben habe, im mündlichen Arztgespräch vor der Impfung Nachfragen zu stellen und weitere Informationen zu erhalten.
Bewertung: Das Landgericht hat insoweit die Grundsätze des Bundesgerichtshofs für öffentlich empfohlene Routineimpfungen, wie z.B. Polio oder Tetanus, auf den vorliegenden Fall übertragen. Dies, obwohl die Covid-19-Impfung mit dem mRNA-Impfstoff laut Gericht nicht als Routineimpfung angesehen werden könne, weil lediglich eine vorläufige Zulassung des Impfstoffes vorgelegen hatte. Allerdings hat das Gericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Covid-19-Impfung mit dem mRNA-Impfstoff öffentlich von der STIKO empfohlen worden war und die Empfehlungen das bestimmende Thema in Politik, Gesellschaft und der Berichterstattung der Medien gewesen seien. Daher sei sowohl Grund der Impfung als auch der Impfstoff selbst der Bevölkerung allgemein bekannt gewesen. Insoweit seien die Grundsätze zur Routineimpfung im vorliegenden Fall gleichwohl anzuwenden.
RAin Tanja Bjelajac
Fachanwältin für Medizinrecht
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Rechtsprechung Datenschutz
Mehr Klarheit bei Schmerzensgeldansprüchen wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO?
EuGH, 04.05.2023 Az. C-300/21
Das Thema Datenschutz ist auch und vor allem im medizinischen Bereich ein nach wie vor sensibles und aktuelles Thema. In der Vergangenheit sind die deutschen Gerichte mit der Frage, ab wann ein Schmerzensgeldanspruch bei einem Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung besteht, unterschiedlich umgegangen. Insbesondere in den Fällen, in denen zwar ein Verstoß gegen Vorschriften der DSGVO vorlag, die behaupteten Beeinträchtigungen des Anspruchstellers jedoch eher fraglich waren, war die Rechtsprechung nicht einheitlich. Einerseits gab es Gerichte, die den Schadenbegriff im Sinne des Art. 82 Abs. 1 DSGVO sehr weit auslegten, wonach allein der Kontrollverlust über personenbezogene Daten einen ersatzfähigen immateriellen Schaden darstelle. Andere Gerichte haben einen Schmerzensgeldanspruch nur bei einer gewissen Erheblichkeit der Beeinträchtigungen angenommen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich in der aktuellen Entscheidung vom 4.5.2023 Az. C-300/21 nun u.a. dazu geäußert, ob ein Schmerzensgeldanspruch bei einem Verstoß gegen die DSGVO gem. Art. 82 Abs. 1 DSGVO eine „Erheblichkeit“ voraussetzt. Der EuGH hat zwar einerseits ausgeführt, dass allein ein Verstoß gegen die DSGVO für sich genommen nicht genüge, einen Schmerzensgeldanspruch zu begründen. Allerdings hat der EuGH auch der von einigen nationalen Gerichten angenommenen Erheblichkeitsschwelle eine Absage erteilt. Hiernach sei es nicht erforderlich, dass der behauptete Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit erreiche. Gleichwohl sei das Vorliegen eines (immateriellen) Schadens schon erforderlich, und dieser müsse vom Anspruchsteller auch bewiesen werden.
RA Dirk Benson
Fachanwalt für Medizinrecht
Kein Anspruch des Patienten auf Gratiskopie der Behandlungsunterlagen Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 20.4.2023 – C-307/22
Der EuGH hat sich aktuell mit einem medizinrechtlich bedeutsamen Fall zu befassen, welcher ihm vom deutschen Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt worden war (BGH, Beschluss vom 29.03.2022, VI ZR 1352/20). Hierzu hat nunmehr der Generalanwalt beim EuGH seinen Schlussantrag gestellt.
Die Vorlage des BGH hatte die Frage zum Gegenstand gehabt, ob die im deutschen Recht (§ 630g Abs. 2 BGB) verankerte Regelung, dass der Patient eine elektronische Abschrift der Patientenakte nur gegen Kostenerstattung verlangen könne, mit europäischem Recht zu vereinbaren ist, speziell mit den Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).
Der Generalanwalt hat nunmehr in seinem Schlussantrag dem EuGH vorgeschlagen, eine Antwort zu geben, welche im Ergebnis den Interessen der ärztlichen Behandlungsseite weit entgegenkommen würde.
Im Kern hat er vorgeschlagen, die verfahrensgegenständlichen Vorschriften der DSGVO dahingehend auszulegen, dass die Behandler zwar eine Kopie der personenbezogenen Daten des Patienten auch dann herauszugeben haben, wenn der Patient mit seinem Begehren keine genuin datenschutzrechtlichen Interessen verfolgt (sondern beispielsweise die Vorbereitung eines Arzthaftungsprozesses im Blick hat). Insofern seien die Rechte der Patienten also nicht einzuschränken.
Hinsichtlich der Kosten solle allerdings eine nationale Regelung weiterhin zulässig sein welche die Herausgabe an den Patienten von der Kostenerstattung abhängig macht (wie länger schon in § 630g Abs. 2 BGB verankert). Dies jedenfalls, sofern eine solche Beschränkung des Auskunftsrechts unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände im Hinblick auf die Ziele des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und der unternehmerischen Freiheit der Ärzte erforderlich und verhältnismäßig ist. Dabei sei allerdings darauf zu achten, dass die Kosten, deren Erstattung die Ärzte von den Patienten verlangen dürfen, strikt auf die tatsächlich anfallenden Kosten beschränkt bleiben.
Sodann schlägt der Generalanwalt eine weitere günstige Auslegung vor, insofern er meint, das in der DSGVO verankerte Recht auf eine „Kopie der personenbezogenen Daten“ sei nicht so zu verstehen, dass der Berechtigte auch eine vollständige Kopie aller bei der datenverarbeitenden Stelle vorhandenen ihn betreffenden Dokumente verlangen könne.
Hier wird mithin der Punkt aufgegriffen, dass die DSGVO begrifflich sich mit Daten befasst und nicht mit einzelnen Dokumenten, in denen diese Daten enthalten sind. Mit anderen Worten: Der datenverarbeitenden Stelle (dem Arzt/dem Krankenhaus) könnte es jedenfalls nach den Regeln der DSGVO auch gestattet sein, nur eine bloße Zusammenfassung der Daten des Berechtigten (Patienten) zu übermitteln.
Als einschränkende Ausnahme wird vom Generalanwalt allerdings vorgeschlagen, dass auch ein Recht auf Kopie bestimmter Dokumente bestehen solle, wenn dies erforderlich ist, um sicherzustellen, dass die übermittelten Daten verständlich sind und dass die betroffene Person in der Lage ist, zu überprüfen, ob die übermittelten Daten vollständig und richtig sind.
Diese beiden letzten Punkte werden für den Anspruch von Patienten auf Kopien ihrer personenbezogenen Daten aus den Behandlungsunterlagen allerdings nicht von Bedeutung sein. Denn das nationale Recht sieht in § 630g BGB eindeutig (über den rein auf die Vorschriften der DSGVO bezogenen Vorschlag des Generalanwalts hinaus) vor, dass die komplette „Patientenakte“ in Abschrift zur Verfügung zu stellen ist.
Von Bedeutung für Streitigkeiten zwischen Patient und Arzt bzw. Krankenhaus kann dieser Vorschlag allerdings durchaus sein, wenn der EuGH sich dieser Auffassung anschließen sollte. Denn es werden durchaus auch Haftungsprozesse geführt, in denen von Patientenseite mithilfe eines datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs nach der DSGVO Informationen und der Einblick in Dokumente verlangt werden, die gar nicht in der eigentlichen Patientenakte enthalten sind (bei denen § 630g BGB und das darin verankerte Recht auf Kopie der Patientenakte mithin dem Patienten nicht zwingend weiterhilft). Zu nennen sind etwa rechtliche Analysen und Kommunikation der Rechtsabteilung eines Krankenhauses oder gar des Haftpflichtversicherers von Arzt bzw. Krankenhaus. Auch hierauf bezogene Auskunfts- und Kopiebegehren sind als Nebenaspekt schon ernstlicher Gegenstand von Arzthaftungsprozessen gewesen. Insofern ist der Vorschlag des Generalanwalts eindeutig zu begrüßen.
RA Dr. Philipp Brennecke, LL.M.oec.
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Rechtsprechung Vergütung
Wahlarztverträge mit Stellvertreter-Regelungen: Grund für plötzliche Verhinderung des Wahlarztes muss dem Patienten nicht zwingend kommuniziert werden
LG Heidelberg v. 30.11.2022, 4 S 3/22
Wahlarztverträge mit Stellvertreter-Regelungen sind immer wieder Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Unwirksame Stellvertreter-Vereinbarungen können in Arzthaftungsverfahren dazu führen, dass die von dem Patienten erteilte Einwilligung in die Behandlung als unwirksam angesehen wird. Dem Patienten können dann Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche zustehen und der handelnde Arzt kann strafrechtlich bspw. wegen Körperverletzung belangt werden (BGH, Urteil vom 11.5.2010 – VI ZR 252/08, Rn. 7; OLG Braunschweig, Beschluss vom 25.09.2013 – 1 U 24/12). Abrechnungstechnisch verliert der Wahlarzt bzw. das Krankenhaus den Anspruch auf das wahlärztliche Honorar, wenn die wahlärztliche Stellvertretervereinbarung unwirksam ist.
Im Fokus steht gerade im Hinblick auf die wahlärztliche Abrechnung oftmals die Frage, ob bereits die fehlende Angabe des genauen Grundes der unerwarteten Verhinderung des eigentlichen Wahlarztes zur Unwirksamkeit der Stellvertretungs-Regelung führt.
Das Landgericht Heidelberg (Urteil vom 30.11.2022 - 4 S 3/22), hat dazu jüngst entschieden, dass jedenfalls bei unaufschiebbaren Behandlungen der Grund für die plötzliche Verhinderung des zuständigen Wahlarztes und die genaue Dauer seiner Verhinderung für die Entscheidung der Patienten nicht relevant ist.
Denn für die Entscheidung der Patienten, eine Behandlung durch einen Stellvertreter zu akzeptieren, sei nach Ansicht des Landgerichts Heidelberg nicht die Kenntnis des Verhinderungsgrundes des Wahlarztes entscheidend, sondern die Kenntnis davon, dass der Wahlarzt derzeit überhaupt verhindert ist und die Behandlung nicht selbst durchführen kann. Auch die Dauer der Verhinderung des Wahlarztes müsse daher nach Ansicht des Landgerichts Heidelberg jedenfalls bei unaufschiebbaren Maßnahmen (hier eine dringliche Herzkatheteruntersuchung) nicht zwingend angegeben werden.
Diese Entscheidung ist aus Sicht der Wahlärzte und Krankenhäuser sehr erfreulich, weil sie die betroffenen Leistungserbringer zumindest etwas entlastet und diesen nicht auch noch aufbürdet, den Patienten – neben der nach wie vor erforderlichen Aufklärung über die unerwartete Verhinderung an sich – zusätzlich noch die genauen Gründe der derzeit nicht möglichen persönlichen Behandlung durch den Wahlarzt zu informieren. Insbesondere jedoch kann dieses erfreuliche Urteil der Praxis einiger privater Krankenversicherungen, wahlärztliche Vereinbarungen mitunter pauschal zu bemängeln, entgegengehalten werden.
RA Michael Arndt, LL.M.
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Vergütungsanspruch für Transplantation trotz falscher Angaben zur Dringlichkeit- „Göttinger Transplantationsskandal“, BSG, Urteil v. 08.03.2023 - B 1 KR 3/22 R
Für viel Aufsehen hatte im Jahr 2012 der sogenannte „Göttinger Transplantationsskandal“ gesorgt, nachdem durch einen anonymen Hinweis bekannt wurde, dass Mitarbeiter des dortigen Uniklinikums falsche Angaben zur Dringlichkeit von Lebertransplantationen an Eurotransplant übermittelt hatten, um somit einen höheren Platz auf der Warteliste für ein Spenderorgan zu erreichen.
Das Bundessozialgericht hatte sich nunmehr mit einem geltend gemachten Rückzahlungsanspruch der Krankenkasse in zwei Fällen zu befassen. Die Krankenkasse hatte die Kosten der durchgeführten Lebertransplantationen in Höhe von knapp 158.000 Euro gezahlt und begehrte nunmehr Rückzahlung von dem Klinikum. Zur Begründung ihres Rückzahlungsanspruches führte die Krankenkasse aus, mit den bewusst falschen Angaben gegenüber Eurotransplant habe das Krankenhaus gegen wesentliche Bestimmungen des Sozialrechts verstoßen. Es handele sich bei den Regelungen zur Verteilung von Organen zwecks Transplantation um wesentliche Regelungen mit einer erheblichen Steuerungsfunktion. Ein Verstoß hiergegen führe dazu, dass der Vergütungsanspruch entfalle, obwohl die Transplantation unzweifelhaft medizinisch notwendig war und im Übrigen auch nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausgeführt worden war. Das erstinstanzliche Gericht hatte das Klinikum zur Rückzahlung verurteilt.
Das Berufungsgericht hat die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Revision zum BSG zugelassen. Das BSG hat nunmehr die Entscheidung des Berufungsgerichts bestätigt. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne des § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist. Diese Voraussetzungen waren unzweifelhaft erfüllt. Der Umstand, dass bei der Meldung an Eurotransplant zu den Daten der beiden Versicherten bewusst falsche Angaben zur Dringlichkeit der erforderlichen Transplantation gemacht wurden, lässt den Vergütungsanspruch nicht entfallen. Bei der ordnungsgemäßen Meldung der Daten an Eurotransplant handelt es sich nicht um eine formale oder inhaltliche Voraussetzung zur Entstehung eines Vergütungsanspruches für die stationäre Behandlung des Transplantationspatienten. Die entsprechenden Meldepflichten dienen ausschließlich der Wahrung der Chancengleichheit der Patienten, ein geeignetes Spenderorgan zu erhalten und damit der Herstellung der Verteilungsgerechtigkeit. Ihnen kommt hingegen keine Vergütungsrelevanz zu.
Das BSG hat ausdrücklich betont, dass es nicht verkenne, dass durch die erfolgten Manipulationen das Vertrauen in ein gerechtes Verteilungssystem für Spenderorgane nachhaltig beschädigt werde. Derartige Gerechtigkeitserwägungen spielten für die Voraussetzungen eines Vergütungsanspruches aber keine Rolle. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen.
Keine Anrechnung von Haftpflichtkostenausgleichszahlungen von Belegkliniken an Hebammen auf den Sicherstellungszuschlag nach § 134a Abs. 1b SGB V
BSG Urteil vom 22.02.2023 - B 3 KR 13/21 R
In dem vom BSG entschiedenen Fall war die Klägerin im Jahr 2015 sowohl als freiberufliche Hebamme und zugleich als Beleghebamme tätig. Im Rahmen ihrer Mitgliedschaft im Hebammenverband Schleswig-Holstein e. V. war sie über eine Gruppen-Haftpflichtversicherung in der Versicherungsform „freiberufliche Hebammen mit Geburtshilfe“ gegen Haftungsrisiken für Personen-, Sach- und Vermögensschäden versichert. Für das 2. Halbjahr 2015 zahlte sie für den entsprechenden Versicherungsschutz einen Betrag in Höhe von 3.137,16 Euro. Hiervon übernahm das Belegkrankenhaus gemäß Belegvertrag einen Anteil in Höhe von 1.337,94 Euro. Auf Antrag der Klägerin gewährte der GKV-Spitzenverband einen Sicherstellungszuschlag nach § 134a Abs. 1b SGB V und lehnte einen darüberhinausgehenden Anspruch mit der Begründung ab, der Zuschuss des Belegkrankenhauses sei entsprechend leistungsmindernd zu berücksichtigen.
Das erstinstanzliche Sozialgericht hat den GKV-Spitzenverband zur Zahlung des weitergehenden Sicherstellungszuschlages in Höhe von 1.170,70 Euro verurteilt. Die vom GKV-Spitzenverband hiergegen eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg. Dem Anspruch der Klägerin stehe nicht entgegen, dass sie für ihre Tätigkeit als Beleghebamme gemäß des mit der Belegklinik geschlossenen Vertrages einen eigenständigen Haftpflichtkostenausgleich erhalten habe. Das Berufungsgericht hatte die Revision zum BSG zugelassen, das nunmehr die Vorinstanzen bestätigt hat. Das BSG hat ausgeführt, dass weder die gesetzlichen Regelungen noch die Ausgestaltung durch den Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe eine Anrechnung von Zahlungen Dritter ermöglichten. Für eine ergänzende Vertragsauslegung durch die Gerichte sei kein Raum, entsprechende Vergütungsregelungen seien nach der Rechtsprechung alles BSG-Senate eng am Wortlaut orientiert auszulegen und beließen keinen Spielraum für weitere Bewertungen und Abwägungen.
Darüber hinaus stellte das BSG klar, dass über die Auszahlung des Sicherzustellungsschlages für Hebammen der GKV-Spitzenverband nicht durch Verwaltungsakt entscheiden dürfe, da es insoweit an einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage fehle. Die Regelungen über die Versorgung der Hebammenhilfe gemäß § 134a SGB V befinden sich im 8. Abschnitt des 4. Kapitels des SGB V, das die Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern regelt. Das Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung ist aber geprägt durch ein Gleichordnungsverhältnis zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern, sodass eine einseitige Rechtsgestaltung durch einen Träger der öffentlichen Verwaltung nur dann erfolgen könne, wenn dies gesetzlich klar und eindeutig bestimmt ist. Hieran aber fehlt es vorliegend.
RAin Nathalie Mix
Fachanwältin für Versicherungsrecht
Fachanwältin für Medizinrecht
Zur Abrechenbarkeit des Chronikerzuschlages nach GOP 03212 EBM
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.12.2022, Az. L 7 KA 49/19
Das LSG Berlin-Brandenburg hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit den Anforderungen an die Abrechenbarkeit des sog. Chronikerzuschlages nach GOP 03212 EBM befasst.
Die Klägerin ist die Betreiberin einer Poliklinik, welche als Einrichtung nach § 311 Abs. 2 SGB V a. F. seit April 2005 an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt. Mit der Klage wendet sich die Klägerin gegen eine von der Beklagten vorgenommene Honorarkürzung (für die Quartale I/10 bis IV/12) von insgesamt 69.382,44 Euro brutto. Die Beklagte begründete die Honorarkürzung im Wesentlichen damit, dass durch eine Ärztin der Klägerin in diesem Zeitraum in mehreren hundert Fällen je Quartal der Chronikerzuschlag nach GOP 03212 EBM fehlerhaft abgerechnet worden sei. Das SG Berlin hat die Klage erstinstanzlich abgewiesen.
In der Berufungsinstanz hat das LSG Berlin-Brandenburg die erstinstanzliche Entscheidung des SG Berlin bestätigt und ausgeführt, dass die von der Beklagten vorgenommene sachlich-rechtliche Richtigstellung rechtlich nicht zu beanstanden sei.
In diesem Zusammenhang betont das LSG, dass die Abrechenbarkeit des Chronikerzuschlages nach GOP 03212 EBM gem. § 2 Abs. 2 der „Chroniker-Richtlinie“ des GBA eine ärztliche Behandlung über einen Zeitraum von wenigstens einem Jahr und mindestens einmal pro Quartal erfordere. Das Gericht stellt zudem klar, dass eine ärztliche Behandlung in diesem Sinne nur bei einem unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontakt vorliege und eine etwa dauerhaft ärztlich verordnete Medikamenteneinnahme hierfür gerade nicht ausreichend sei. Denn das Merkmal „schwerwiegend chronisch“ in § 2 Abs. 2 der „Chroniker-Richtlinie“ setze gerade einen intensiven Arzt-Patienten-Kontakt voraus.
Ferner betonte das LSG, dass den jeweiligen Vertragsarzt grundsätzlich die Feststellungslast hinsichtlich der Voraussetzungen für seinen Vergütungsanspruch treffe. Es sei primär Sache des Vertragsarztes, etwaige begründete Zweifel an der Richtigkeit einer Abrechnung auszuräumen.
RAin Luisa-Maria Hartmann
In eigener Sache
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