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Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 18. Juli 2012 - 7 AZR 443/09 – zur Frage der sog. „Kettenbefristung“ Stellung bezogen. Der Entscheidung des BAG war die in diesem Verfahren vorgenommene Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vorausgegangen, die von diesem mit Urteil vom 26. Januar 2012 - C-586/10 – beantwortet worden ist. Nach Ansicht des EuGH könne die Befristung eines Arbeitsvertrags trotz Vorliegens eines Sachgrunds aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich und daher unwirksam sein. Für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs könnten insbesondere eine sehr lange Gesamtdauer oder eine außergewöhnlich hohe Anzahl von aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen mit demselben Arbeitgeber sprechen.
Ständige Rechtsprechung des Siebten Senats des BAG vor der Entscheidung des EuGH war, dass dem Sachgrund der Vertretung auch eine größere Anzahl der mit einem Arbeitnehmer geschlossenen befristeten Verträge nicht entgegenstünde. Entscheidend sei allein, ob bei der letzten Befristungsabrede ein Vertretungsfall vorgelegen habe. Ein bei dem Arbeitgeber vorhandener ständiger Vertretungsbedarf schließe den Sachgrund der Vertretung nicht aus.
In neuer Besetzung kamen dem Siebten Senat Bedenken, ob er aus Gründen des Unionsrechts gehindert sei, an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festzuhalten. Er bat deshalb mit Beschluss vom 17. November 2010 - 7 AZR 443/09 (A) - den EuGH um Beantwortung der Frage, ob es mit § 5 Nr. 1 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 (Rahmenvereinbarung) vereinbar sei, die wiederholte Befristung eines Arbeitsvertrags auch dann auf den im nationalen Recht vorgesehenen Sachgrund der Vertretung zu stützen, wenn bei dem Arbeitgeber ein ständiger Vertretungsbedarf besteht, der ebenso durch unbefristete Einstellungen befriedigt werden könnte.
Von der oben zitierten Entscheidung des EuGH ausgehend entschied der Siebte Senat des BAG nunmehr, dass das Vorliegen eines ständigen Vertretungsbedarfs der Annahme des Sachgrunds der Vertretung nicht entgegenstehen würde, sondern an den Grundsätzen der Sachgrundprüfung uneingeschränkt festgehalten werden könne. Allerdings könne unter besonderen Umständen die Befristung eines Arbeitsvertrags trotz Vorliegens eines sachlichen Grundes wegen rechtsmissbräuchlicher Ausnutzung der an sich eröffneten rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit unwirksam sein. Das würde sich aus den aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) hervorgehenden Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs ergeben. An einen solchen nur ausnahmsweise anzunehmenden Rechtsmissbrauch seien hohe Anforderungen zu stellen. Es seien dabei alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge zu berücksichtigen.
(Quelle: Pressemitteilung des BAG vom 19.07.2012)
Anmerkungen und Beraterhinweis:
Dem zur Entscheidung angestandenen Fall lag zugrunde, dass die Klägerin unmittelbar an die erfolgreich abgeschlossene Ausbildung vom beklagten Land NRW beim Amtsgericht Köln als Justizangestellte übernommen wurde, angestellt mit einem befristeten Arbeitsvertrag zunächst vom 02.07. bis 31.12.1996. Der Klägerin wurde ein Arbeitsplatz zugeteilt, den sie sodann elfeinhalb Jahre, bis 31.12.2007, durchgängig innehatte. Die gesamte Arbeitsperiode war geprägt durch 13 aneinander gehängte befristete Arbeitsverträge. Kurz vor Weihnachten 2007 erhielt die Klägerin von der Personalstelle beim Amtsgericht Köln mitgeteilt, dass das Land ihr für die Zeit ab 01.01.2008 keinen weiteren Arbeitsvertrag mehr anbieten würde, weder einen weiteren befristeten noch einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Während der gesamten Zeit ihrer Beschäftigung beim Amtsgericht Köln hat die Klägerin ausweislich der ihr stets neu ausgehändigten schriftlichen Arbeitsverträge sich in Mutterschutz, Elternzeit, Sonderurlauben u. Ä. befundene Kolleginnen vertreten. Diese „Vertretungen“ erfolgten nie unmittelbar, sondern immer nur mittelbar. Die Klägerin wechselte zu keinem Zeitpunkt auf den Arbeitsplatz der von ihr vertretenen Kollegin, sie kannte die von ihr vertretenen Kolleginnen nicht.
Der Siebte Senat des BAG hält uneingeschränkt an seiner Rechtsprechung zu dieser sogenannten mittelbaren Vertretung fest. Ihm genügt es, wenn einem zur Vertretung angestellten Arbeitnehmer ein anderer Arbeitnehmer, der befristet ausfällt, gedanklich zugeordnet werden kann. U. a. diese im Wesentlichen als arbeitgeberfreundlich empfundene weite Auslegung des berechtigten Befristungsgrundes der Vertretung leistete der arbeitgeberseitigen Praxis Vorschub, grundsätzlich nicht nur ein paar wenige befristete Arbeitsverträge mit ein und demselben Arbeitnehmer in Folge abschließen zu können. Nun aber zieht das BAG, veranlasst durch die Vorgabe des EuGH, eine „Schlechtes-Gewissen-Bremse“ ein und verlangt vom Arbeitgeber insbesondere für den Fall nicht weniger hintereinander geschlossener befristeter Arbeitsverträge, dass er dringend gebotene, betriebsbedingte, wirtschaftliche Gründe aufzeigen und belegen muss, die ihn hindern, den betroffenen Arbeitnehmer auch nach Jahren der stets nur fortlaufend befristeten Beschäftigung nicht unbefristet anzustellen.
Zur Aufklärung und Prüfung dieses Umstandsmoments hat das BAG den Fall unserer Klägerin an das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln zurückverwiesen. Dort wird im Frühjahr 2013 entschieden werden, ob in diesem speziellen Fall rechtsmissbräuchlich lange weiter befristet worden ist oder nicht. Zu diesem Prozessinhalt hat der Siebte Senat jedoch vorgegeben, dass er im Falle unserer Klägerin im Hinblick auf die Gesamtzahl der Befristungen (13) und die Gesamtdauer der befristet absolvierten Arbeitszeit (11 1/2 Jahre) von einem Rechtsverstoß der Arbeitgeberseite ausgeht. Das Land NRW wird also besondere Gründe anführen müssen, um die erkennende Kammer beim LAG Köln veranlassen zu können, von der Einschätzung des BAG abzuweichen.
Wünschenswert wäre eine Durchentscheidung des BAG gewesen. Während der Gesamtdauer des Streits über nun schon mehr als vier Jahre ist von allen Seiten ausführlich vorgetragen, Stellung bezogen und entschieden worden. Dem BAG lagen alle Fakten vor.
Der Berater hätte es begrüßt, wenn das BAG gleichzeitig sowohl seine Rechtsprechung zur mittelbaren Befristung überdacht (und geändert), als auch feste zeitliche Grenzen einer Befristungsdauer und einer Vertragsanzahl festgelegt hätte. In der Beratungspraxis bleibt die Unsicherheit bestehen, wann Rechtsmissbrauch im Streitfall angenommen werden wird und wann nicht. Salopp ausgedrückt – nicht despektierlich gemeint – sind die zu erwartenden arbeitsgerichtlichen Entscheidungen zum rechtsmissbräuchlichen Verhalten eines Arbeitgebers im Rahmen der von ihm angewandten Befristungspraxis ohne weiteres auch der jeweiligen Tageslaune der einzelnen zur Entscheidung aufgerufenen Richterin bzw. des einzelnen Richters unterworfen. Der Berater glaubt jedoch, eine BAG-Tendenz ausmachen zu können, dass nach der Zahl 10 in jeder Hinsicht „Schluss“ für den Arbeitgeber sein dürfte.